„Kinder sind ja auch endgültige Entscheidungen“, sagt Verena Falk (Name zum Zweck der Anonymisierung geändert). Die 27-jährige Wienerin hat sich vor gut zwei Jahren sterilisieren lassen, so früh wie in Österreich gesetzlich erlaubt. Und sie hat keine Angst davor, den unumkehrbaren Eingriff zu bereuen. Denn für Falk steht fest: „Ich bin mir zu 100 Prozent sicher, dass ich niemals schwanger sein oder gebären möchte.“ Allein die Vorstellung des Mutter-Seins findet Falk gruselig. Für sie war die Sterilisation ein Akt der Selbstbestimmung. Nicht selten sorgt dieser für Gegenwind, denn in den Köpfen vieler Menschen gibt es kein Frau-Sein ohne Mutter-Sein.

Sterilisation. Wer den Begriff hört, denkt vielleicht an den Tierarzt-Besuch, weniger aber an Menschen. So war es auch bei Verena Falk. Erst als sie mit 17 Jahren im Internet über Verhütung recherchierte, wurde der Wienerin bewusst: Auch Frauen können sich sterilisieren lassen. Heute ist Falk 27 Jahre alt – und seit zwei Jahren sterilisiert. Ihr Weg war nicht einfach.
Erstmals hat Verena Falk von der Tubenligatur – wie die weibliche Sterilisation im Fachjargon heißt – auf Google erfahren, nicht von ihrer Gynäkologin. Diese hatte ihr drei Jahre zuvor die Pille verschrieben. Ganz ohne Aufklärung über Alternativen, wie die junge Frau erzählt. Falk sagte, sie habe noch nie den Wunsch verspürt, am eigenen Leib eine Schwangerschaft zu erleben, geschweige denn zu gebären: „Die Vorstellung finde ich gruselig“. So wuchs ihr Interesse an der Sterilisation als endgültige Verhütung. Gesetzlich dürfen Frauen und Männer sich in Österreich jedoch erst mit 25 Jahren sterilisieren lassen.
Warum erst so spät? „Darauf konnte ich keine Antwort finden“, sagt Alexander Tipold, Professor für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Universität Wien. Die Altersgrenze findet sich seit 1975 im österreichischen Strafgesetzbuch. Die Unterlagen zur Entstehung dieser Regelung liefern keinen Aufschluss darüber, warum gerade 25 als Altersgrenze festgelegt wurde. Üblicherweise wird volljährigen Personen zugetraut, vollumfänglich entscheidungsfähig zu sein. Auch in Deutschland und in der Schweiz sind Sterilisationen vom Gesetz grundsätzlich ab 18 Jahren erlaubt.
Wie ist die Sterilisation in Österreich gesetzlich geregelt?
Alle medizinisch nicht notwendigen Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit (z.B. Operation, Piercing) stellen potenziell eine Körperverletzung dar. Um dies zu umgehen, muss der*die Verletzte in die Behandlung einwilligen. Das ist auch bei der Sterilisation so: Das Strafgesetzbuch regelt in § 90 Absatz 2 die Sterilisation als Sonderfall der „Einwilligung des Verletzten“. Diese Gesetzesbestimmung betrifft alle Sterilisationen bei Frauen sowie Männern, die aus medizinischer Sicht nicht notwendig sind. Damit die behandelnde Ärzt*in keine Körperverletzung begeht, muss die Patient*in der Behandlung zustimmen (im besten Fall schriftlich). Das kann nur passieren, wenn die Patient*in umfassend darüber aufgeklärt wurde, was der Eingriff bedeutet, welche Konsequenzen der Eingriff mit sich bringt und welche Risiken bestehen. Speziell bei der Sterilisation fordert der Gesetzgeber außerdem, dass die Patient*in 25 Jahre alt sein muss. Unter 18 Jahren ist die Sterilisation absolut unzulässig. Zwischen 18 und 25 Jahren kann sie nur durchgeführt werden, wenn der Eingriff nicht gegen die „guten Sitten“ verstößt. Das bedeutet konkret: Eine Schwangerschaft würde das Leben oder die Gesundheit der Patient*in ernsthaft bedrohen – oder aber, wenn die Patient*in eine Krankheit vererben könnte, die die Nachkommen erheblich schädigt.
Verena Falk musste also warten. Bis dahin schütze sich die junge Frau mit dem Hormonstäbchen vor einer ungewollten Schwangerschaft. Hormonelle Verhütung birgt aber das Risiko vieler Nebenwirkungen: Neben Kopfschmerzen, Blähungen, Gewichtsschwankungen, Wassereinlagerungen und Übelkeit klagen viele Patient*innen, die hormonell verhüten, auch über depressive Verstimmungen, Stimmungsschwankungen und eine verringerte Libido. Thrombosen treten wahrscheinlicher auf. Immer mehr Frauen* suchen deshalb nach Alternativen.
Doch auch die Sterilisation ist nicht ungefährlich. Der Eingriff erfordert eine Operation unter Vollnarkose, bei der in den Bauchraum der Frau eingedrungen wird. Nur so ist es möglich, den Transport der Eizelle von den Eierstöcken in die Gebärmutter dauerhaft zu unterbinden. Dafür wird der Eileiter durchtrennt – oder mithilfe von Metall-Klipps verschlossen. Mediziner Georg Braune sagt: „Jetzt ist es schon seit vielen Jahren üblich, dass man den Eileiter ganz entfernt“. Der Grund dafür? Krebsprävention. Man habe festgestellt, dass die meisten Krebserkrankungen des Eierstocks vom Eileiter ausgehen. Die komplette Entfernung bedeute keine wesentliche Erweiterung der Operation, die im Schnitt 15 bis 20 Minuten lang dauert.
Floridsdorfer Hauptstraße, 21. Wiener Gemeindebezirk: Im unscheinbaren Innenhof einer großen Wohnanlage befindet sich der Eingang zu Braunes Praxis. Seit dreißig Jahren ist der Gynäkologe als niedergelassen Arzt tätig, zuvor arbeitete er zehn Jahre lang in Krankenhäusern. Dabei führte er auch Sterilisationen durch.

Braune erzählt aus fachlicher Sicht. Etwa über die Risiken und mögliche Komplikationen. Er nennt Verletzungen von Gefäßen, des Darms oder des Harnleiters. „Ich würde nicht befürworten, diesen Eingriff außerhalb eines Spitals ambulant durchführen zu lassen“, sagt der Gynäkologe, „weil ich dann eine Komplikation nicht beherrsche“. Klar macht er aber: Komplikationen sind eher die Ausnahme. Ist der Eingriff erfolgreich, schützt die Sterilisation mit 99-prozentiger Sicherheit vor einer ungewollten Schwangerschaft. Auswirkungen auf den weiblichen Hormonhaushalt oder das sexuelle Lustempfinden gebe es keine.
Verena Falk war erst 24 Jahre alt, als sie den Termin für das kostenlose Erstberatungsgespräch in einem privaten Institut für Frauengesundheit am Fleischmarkt im ersten Bezirk ausmachte. Ihre Gynäkologin konsultierte sie vorher nicht, denn das Vertrauen fehlte: „Sie hat mir ja von Anfang an einfach die Pille verschrieben“. Zu ihrer Erleichterung musste Falk ihr Interesse an der Sterilisation beim Beratungsgespräch nicht weiter begründen.
Das ist nicht immer so. Manche Ärzt*innen verlangen vor diesem irreversiblen Eingriff sogar ein psychologisches Gutachten. Davon erzählt Julia Brandner. Die in Bruck an der Mur geborene Autorin und Stand-up-Comedienne sollte ihrer Frauenärztin einen Beleg liefern, dass „ich zurechnungsfähig bin und kein Druck von außen zur Sterilisation besteht“. In Brandners Augen ist dies „reine Ärztewillkür“. Die Forderung nach einem Gutachten unterstelle, dass Frauen psychisch gestört sind, wenn sie keine Kinder bekommen wollen.

Mittlerweile lebt Brandner in Berlin. Und sie macht sich öffentlich für reproduktive Selbstbestimmung stark: „Weil in der Gesellschaft endlich ankommen soll, dass Frauen keine Gebärmaschinen sind und auch ohne Kinder ein erfülltes Leben haben können“.
Gynäkologe Braune sieht psychologische Gutachten nicht als Überprüfung der Zurechnungsfähigkeit, sondern als Angebot und Absicherung für seine Patient*innen, professionell begleitet zu werden. Er empfiehlt diese vor allem jüngeren Patient*innen. Ob er eine junge, kinderlose Frau* sterilisieren würde, wenn es keine medizinische Indikation dafür gibt? „Ich gestehe ein, ich würde mir zunächst schwer damit tun“, antwortet Braune zögerlich. Vor einigen Jahren – als Braune noch in einer größeren Praxis arbeitete – kamen pro Woche zwei bis drei Patient*innen mit Sterilisationswunsch zu ihm. Zum Großteil hatten diese bereits Kinder und die Familienplanung abgeschlossen.
Mit jungen Patientinnen würde Braune lieber eine Lösung für eine reversible Verhütungsmethode suchen – auch, um die Entscheidung für die Kinderlosigkeit reifen zu lassen. Denn Meinungen ändern sich, sagt der Gynäkologe aus persönlicher Erfahrung: „Wenn Sie mir heute für jede Patientin, die mir mit 27 gesagt hat, sie will keine Kinder und mit 37 dann doch schwanger war, einen Geldbetrag geben würden, wäre ich wahrscheinlich ziemlich wohlhabend“.
Letzten Endes ist die Frau die entscheidende Person über ihren eigenen Körper, und niemand anders. Doch in der Praxis kann es vorkommen, dass einzelne Ärztinnen den Eingriff verweigern – etwa aus religiösen Gründen. Darauf weist auch Georg Braune hin. Zwar teilt er die Ansicht, dass die Selbstbestimmung der Frau an erster Stelle steht, dennoch kann er nicht ausschließen, dass Ärztinnen ihre eigene Entscheidungsfreiheit wahrnehmen und den Eingriff ablehnen.
Haben Frauen ein Recht darauf, sich sterilisieren zu lassen?
Reproduktive Selbstbestimmung bedeutet, dass Frauen frei über ihre Sexualität und den eigenen Körper entscheiden können. Sie zählt zu den Menschenrechten (Art 8 EMRK), die in Österreich Verfassungsrang haben. Frauen haben demnach das Recht, selbst zu bestimmen, ob bzw. wie viele Kinder sie gebären. „Menschenrechte sind grundsätzlich Abwehrrechte. Zum Beispiel, darf der Staat nicht in die Meinungsfreiheit eingreifen – oder eben zur Abtreibung oder Sterilisation zwingen“, erklärt der Strafrechtsprofessor Alexander Tipold. Aktuell verpflichtet sich der Staat jedoch auch nicht dazu, die Möglichkeit zur Sterilisation zu gewährleisten. Das wäre ein Leistungsrecht. Und Menschenrechte sind nicht automatisch Leistungsrechte.
Alexander Tipold bestätigt, dass Ärzt*innen rechtlich nicht verpflichtet sind, eine Sterilisation durchzuführen. Ableiten könne man dies laut Tipold unter anderem aus rechtlichen Bestimmungen zum Schwangerschaftsabbruch. Sofern eine Sterilisation jedoch medizinisch notwendig ist, sieht die rechtliche Lage jedoch wieder anders aus. Autorin Julia Brandner wünscht sich leichtere Zugänglichkeit, egal ob medizinisch geboten oder nicht: „Wenn jemand den Eingriff nicht durchführen will, sollte er verpflichtet sein, jemanden zu empfehlen, der es tut“, fordert die 29-Jährige. Eine gute Anlaufstelle für Frauen mit Sterilisationswunsch sei die deutsche Website https://www.selbstbestimmt-steril.de/. Gynäkolog*innen erklären dort, ob und unter welchen Umständen sie eine Sterilisation anbieten. In Österreich gibt es kein vergleichbares Angebot.
Verena Falk hat kein psychologische Beratung in Anspruch genommen. Aus ihrer Sicht war dies auch nicht notwendig: „Als Kleinkind dachte ich, dass ich später mal Mutter sein werde, eine Familie haben werde. Weil ich überzeugt war, dass das einfach so ist. Als Teenagerin ist mir das erste Mal bewusst geworden: Man hat eine Wahl. Das ist eine Entscheidung, die man selbst treffen kann. Da ist mir dann schnell klar geworden, dass ich niemals Kinder haben möchte.“ Auch der Anblick süßer Babys ändere nichts daran, sagt Falk. Schließlich musste die junge Frau mehrere Jahre auf ihre Sterilisation warten. So hatte sie laut eigener Aussage genügend Zeit, um festzustellen, ob sich ihre Meinung noch einmal ändern würde.
Auch ihre Familie und ihr Freundeskreis waren nicht überrascht. Falks Vater hätte sich zwar Enkelkinder gewünscht, respektiert die Entscheidung jedoch. Ihre Mutter fragte, ob sie das Geld nicht lieber für ein Sofa in ihrer neuen Wohnung ausgeben möchte. 1000 bis 1500 Euro kostet eine Sterilisation in Österreich. Die Krankenkasse übernimmt die Kosten für den Eingriff nur, wenn eine Schwangerschaft die Gesundheit der Frau gefährden würde.
Mit etwa 300 Euro sind Vasektomien – wie man die Sterilisation beim Mann nennt – deutlich günstiger. Laut Gynäkologe Georg Braune liege dies mitunter am Schwierigkeitsgrad des Eingriffs. Das Durchtrennen der Samenleiter ist einfacher durchzuführen und birgt weniger Risiken. Für Verena Falk war aber klar: Wenn sie es sich leisten kann, dann kauft sie sich ein neues Sofa – und eine Sterilisation.
Es ist der Tag der Operation: Am Hinweg ist Verena Falk etwas nervös, aber „vor allem wegen der Narkose, nicht wegen der Sterilisation“, schildert sie rückblickend. Außerdem hat sich die junge Frau mental darauf vorbereitet, Abtreibungsgegner*innen zu treffen. Diese standen oft vor dem Institut, das Falks Sterilisation durchführte, da dieses auch Schwangerschaftsabbrüche angeboten hat. Ressourcen für längere Betreuung nach dem Eingriff haben private Ambulatorien nicht. Wer eine Operation dort plant, muss sich eine Abholperson organisieren und noch am selben Tag nach Hause.
Bei Falk war das ihre Großmutter, die die Praxis bereits kannte – sie hatte dort früher zwei Schwangerschaftsabbrüche durchführen lassen. „Meine Oma hat tatsächlich beim Abholen zwei Männer mit Bibel in der Hand gesehen. Zum Glück waren die weg, als wir wieder herausgekommen sind. Ich weiß nicht, wie es ihr damit ging“, sagt Falk. Nach dem Eingriff sei sie zu schlapp gewesen, um danach zu fragen – „Ich war froh um mein Schmerzmittel und wollte nur noch nach Hause ins Bett.“ Insgesamt vier Tage lang konnte die damals 25-Jährige nicht arbeiten gehen. Der Heilungsprozess zog sich darüber hinaus.
Für viele junge Frauen, die keine Schwangerschaft wollen, bedeutet die Sterilisation weniger Last. Julia Brandner fühlt sich „endlich in ihrem Körper angekommen“ und sei entspannter. Anders Verena Falk: „Ich habe mich eigentlich gefühlt wie immer.“ Das mag auch daran liegen, dass sich in Falks Leben gar nicht so viel verändert hat. Sollte sie ihre Meinung beim Thema Kinderwunsch doch noch ändern, wäre die In-Vitro-Fertilisation (IVF) eine Option. Gynäkologe Georg Braune erklärt, dass diese Form der künstlichen Befruchtung speziell für Frauen entwickelt wurden, deren Eileiter blockiert sind – egal, ob von Natur aus oder durch eine Sterilisation. Sterilisierte Frauen können also noch schwanger werden, wenn auch nicht auf ganz natürlichem Weg.
Verena Falk würde würde aber ohnehin am ehesten adoptieren, Blutsverwandtschaft sei ihr komplett egal. „Im Endeffekt stehen mir alle Möglichkeiten offen, außer einer ungewollten Schwangerschaft“. Man könnte fast behaupten: Sich für ein Kind zu entscheiden ist der größere Kipppunkt, als sich für eine Sterilisation zu entscheiden. Das nimmt auch Julia Brander so wahr: „Die Leute in meinem Umfeld, die Kinder haben, hatten teilweise sogar noch mehr Verständnis, weil sie wissen, wie hart Elternschaft sein kann.“ Gewissermaßen sieht Brandner ihre Sterilisation auch als Form des Protests gegen gesellschaftliche Strukturen: „Wenn mehr Frauen sich sterilisieren lassen, tut vielleicht auch endlich die Politik mal was, um gegen die Benachteiligung von Müttern vorzugehen“.
von Nasim Neghabat & Melissa Untersmayr