„Das hätte mein Großvater nie für möglich gehalten“, sagt Gerhard Lobner, Winzer aus Wien, lachend. Doch der Ernst der Lage ist ihm bewusst. Wo einst Weinreben vorherrschten, blühen heute Oleander und andere Pflanzen, die man eher aus dem Mittelmeerraum kennt. Das Klima verändert sich, und das hat Auswirkungen auf den Weinanbau, die Produktion und sogar auch auf den Geschmack. Aber nicht nur im Wein schmeckt man den Klimawandel. Die Auswirkungen werden prekärer und diverser – aber wie weit kann der Wandel noch voranschreiten? Wann kippt unsere Erde?
„Das Problem ist, dass wir bei einzelnen Ökosystemen nicht wissen, wo und wann es genug ist. Die Natur ist recht resilient in dem, was sie aushalten kann aber wir wissen nicht genau wann eine Bienenpopulation kollabiert, wann ein Gewässer kippt. Wann haben die Meere zu viel CO2 und sind übersäuert, sodass die Korallenriffe nicht mehr überlebensfähig sind und dadurch keine Kinderstube für Fische mehr sind?“, Jakob Mayr vom WWF warnt vor schleichenden Veränderungen, die sich dann aber plötzlich bemerkbar machen können. Viele Kipppunkte scheinen auch eine Art Dominoeffekt in Ökosystemen zu erzeugen. Hier werden Wirkungsketten in Gang gesetzt, wie weit sie reichen, können wir nur erahnen.
„Wir wissen eben oft nicht so genau, wieviel es für den Kippunkt braucht. Und das ist ein Spiel mit dem Feuer, dass wir hier spielen.“
Mehr als nur Durchschnittswerte
„Klima ist kein Zustand, den man spürt, sondern eine langfristige Beobachtung“, erklärt Daniel Bayer, Ranger im Nationalpark Neusiedler See. Für Schulklassen hat er ein einfaches Spiel: Kinder ziehen Temperaturwerte aus einem Beutel, tragen sie in Diagramme ein und berechnen Durchschnittstemperaturen. Spielerisch lernen sie, Klima und Wetter zu unterscheiden – und begreifen gleichzeitig, wie beunruhigend die Entwicklung der letzten Jahrzehnte ist.

Daniel Bayer arbeitet mit Kindern von 9 bis 15 Jahren.
„Wetter und Klima, das sind zwei verschiedene paar Schuhe.“ Bayer erklärt weiter: „Pro Grad Temperaturerhöhung kann die Luft rund sieben Prozent mehr Feuchtigkeit aufnehmen. Das klingt harmlos, hat aber gravierende Folgen: Stärkere Stürme, extremere Wetterereignisse und trockenere Regionen wie am Neusiedler See.“
Der Wandel sei messbar und sichtbar. Internationale Klimadaten belegen, dass die Häufigkeit von Extremwetterereignissen in den letzten 20 Jahren deutlich zugenommen hat.
Die 1,5-Grad-Marke – Schleichende Veränderungen
Die globale Erwärmung um 1,5 Grad Celsius – das klingt oft etwas abstrakt und lässt die Auswirkungen des Klimawandels reduziert und auch einseitig wirken. Es wird nicht „nur um 1,5 Grad wärmer“ – die Wetterlagen werden extremer, Naturkatastrophen häufen sich, und je mehr man den Blick regional schärft, desto stärker werden auch alltäglichere Veränderungen immer sichtbarer. Laut Bayer verstärkt sich beispielsweise die Erwärmung in Binnenländern wie Österreich deutlich stärker. Am Neusiedler See bedeutet dies vor allem eins:
„Die steigenden Temperaturen lassen mehr Wasser verdunsten, während der Niederschlag unverändert bleibt. Das Grundwasser sinkt, wodurch der See und umliegende Ökosysteme wie die Salzlacken austrocknen“, erklärt der Ranger. Die Salzlacken – flache Gewässer mit salzhaltigen Böden – sind Lebensraum für Vogelarten, die zu bestimmten Jahreszeiten an diesen Lacken brüten. Sie sind für manche Zugvögel der Grund, überhaupt nach Österreich zu kommen. Ein Anstieg der Temperaturen oder eine Übernutzung des Grundwassers genügen, um diese sensiblen Biotope zu zerstören.
Studien des Umweltbundesamts zeigen, dass sich die Erwärmung global ungleich verteilt. Regionen wie Mitteleuropa erwärmen sich schneller, und der Verlust von Artenvielfalt wird beschleunigt. Die Auswirkungen betreffen alle, wenn das auch manche Gruppen aufgrund ihrer ökonomischen Situation früher bemerken werden als andere. Wasserknappheit, hitzebedingte Gesundheitsrisiken und Ernteverluste sind nur einige der spürbaren Konsequenzen.
Landwirtschaft am Kipppunkt
Vor allem die Landwirtschaft leidet stark unter den Auswirkungen des Klimawandels. Denn sie ist unmittelbar von Klima, Witterung, Wetter und Bodenverhältnissen abhängig. Gerhard Lobner, Geschäftsführer des Wiener Weinguts Mayer am Pfarrplatz, schildert die paradoxen Effekte: „Durch die milden Winter treiben die Reben früher aus. Das erhöht die Gefahr von Spätfrost und Pilzkrankheiten. Gleichzeitig können wir Hagel und Starkregen kaum mehr vorhersagen oder kontrollieren.“

In Ökosystemen kommen die Kippunkte oft schleichend, die Auswirkungen spürt man aber recht plötzlich. Der „Living Planet Report“ zeigt, dass wir über längere Zeit einen schleichenden Biodiversitätsverlust beobachten müssen, der immer dramatischere Ausmaße annimmt.
Die Wasserverfügbarkeit und auch die Produktivität landwirtschaftlicher Böden wird sich künftig verändern. Aus einer Studie des Landwirtschaftsministeriums wissen wir, dass die Gegenden, die jetzt in Österreich die produktivsten landwirtschaftlichen Böden sind, schon in wenigen Jahrzehnten nicht mehr sein werden.
Der WWF warnt vor Bodenversiegelungen. Sie führen nicht nur zu weniger produktiven Böden, sondern verstärken auch die Auswirkungen des Klimawandels auf die Landwirtschaft und sind einer der größten Feinde der Biodiversität. Je mehr Boden versiegelt wird, desto weniger Wasser kann aufgenommen werden, was wiederum zu Überschwemmungen führt. Jakob Mayr sieht hier die Notwenigkeit einer „Neuverhandlung in der Bodennutzung“, um die Ernährungssicherheit zu gewährleisten.
Klimaschutz mehrdimensional denken
„Wir haben genug CO2 und ähnliche klimarelevante Gase in die Atmosphäre entlassen, dass wir eine gewisse Erwärmung auch gar nicht mehr verhindern können. Selbst wenn wir jetzt, noch heute, aufhören würden, CO2 zu emittieren, wird sich die Atmosphäre noch eine ganze Weile erhitzen.“, so Jakob Mayr.
Neben dem Klimaschutz sind die Klimawandelanpassung und der Schutz der Biodiversität Herausforderungen, denen man sich im Zuge des Klimawandels stellen muss.
Eine sogenannte „grüne Infrastruktur“, schafft es, Klimaschutz und Klimawandelanpassung zu vereinen und denkt somit auch die Biodiversität mit. Wie das funktioniert erklärt Jakob Mayr: „Renaturierte Flussläufe helfen nicht nur gegen Überschwemmungen, sondern bieten auch Lebensraum und wirken kühlend. Das ist nachhaltiger als Betonmauern.“ Das lindert nicht nur die Symptomatik, sondern kümmert sich auch um die Ursache. „Die Lösung liegt darin, die Natur mitzudenken und nicht statt ihr zu denken“.

Ein Beispiel aus dem Marchfeld zeigt, wie es gelingen kann: Landwirte nutzen renaturierte Teiche, um Wasser zu sammeln und effizienter zu bewässern. Gleichzeitig fördern sie die Biodiversität, was langfristig den Boden und das Ökosystem stabilisiert.
Grüne Infrastruktur ist aber nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch sinnvoll. Ein renaturierter Bach senkt Kosten, indem er Hochwasserschäden reduziert und gleichzeitig Erholungsgebiete schafft.
Diesen Ansatz verfolgt auch Gerhard Lobner: Begrünte Fahrgassen mit tiefwurzelnden Pflanzen schützen den Boden vor Erosion und verringern die Hitze. Hagelnetze und nachhaltige Anbaumethoden könnten langfristig helfen. Die Ergreifung von Maßnahmen erfordert allerdings auch ein gewisses Maß an Unterstützung. Nachhaltige Lösungen für den Anbau, aber auch in der Produktion sind oft kostspielig und bringen logistische Herausforderungen mit sich. So macht etwa 45% der CO2-Bilanz des Weins die Herstellung der Glasflasche aus. Dünnere Weinflaschen bringen allerdings auch logistische Probleme mit sich.
Die Rolle der Politik
Um nachhaltige Veränderungen umzusetzen sind aber auch politische Rahmenbedingungen gefragt. Subventionen könnten nicht nur in der Theorie an nachhaltige Praktiken gekoppelt werden. Transparente Prozesse wie auch klare Ziele wären ebenso notwendig, um das Vertrauen in die Klimapolitik zu stärken.
In puncto Wassermanagement nehmen vor allem die Niederlande eine Vorreiterrolle ein. Dort hat man durch konsequente Renaturierungsprojekte und nachhaltige Stadtplanung das Risiko von Überschwemmungen reduziert und gleichzeitig Lebensräume für Tier- und Pflanzenarten geschaffen.
In Deutschland wiederum zeigt das Konzept der Agroforstwirtschaft, wie traditionelle und innovative Ansätze kombiniert werden können, um Ernteerträge zu sichern und die Biodiversität zu fördern. Auch der Nationalparkranger Bayer betont die Rolle der Landwirtschaft. Das Austrocknen des Neusiedler Sees ist ebenso von der (Ab-)Nutzung des Grundwassers bedingt.

Verantwortung und Hoffnung
„Viele Jugendliche sind frustriert, weil sie sehen, dass große Versprechen oft nicht eingehalten werden.“ Bayer will ihnen mit seinen Workshops Mut machen.
„Es ist wichtig, nicht nur über Probleme zu sprechen, sondern auch konkrete Lösungen aufzuzeigen“. So entstehen Pläne für ökologische Gärten, energieeffiziente Gebäude und autofreie Innenstädte – Ideen, die Mut machen.
Das gesellschaftliche Engagement ist ein oft Unterschätzer Faktor in der Bewältigung von globalen Problemen. Durch lokale Initiativen, Bildungsprogramme oder Protestbewegungen entsteht eine Dynamik, die politische Prozesse beeinflussen kann.
Ein Beispiel aus Österreich ist die Initiative „Rettet die Bienen“, die in wenigen Monaten über eine Million Unterschriften für den Schutz der Artenvielfalt sammelte und damit eine öffentliche Diskussion auslöste.
Auf die Frage, wann denn die Welt jetzt wirklich endgütltig zu brennen beginnt, gibt es (mit Ausnahme von diversen Verschwörungsmythen) keine eindeutige Antwort. Was wir aber wissen ist, dass die Kipppunkte in Ökosystemen, Klima und Wetter relativ unberechenbar sind. Klimabewusstes agieren, grüne Infrastruktur und klimapolitische Maßnahmen verschaffen uns im schlimmsten Fall mehr Zeit und im besten Fall einen Wandel in eine grüne, lebenswerte Zukunft.
Der Parkranger ist sich sicher: „Wir müssen das Richtige tun, weil es richtig ist, nicht weil wir wissen, ob es reicht“.
